2009 wurde bekannt, dass eine Firma 2500 fingierte Stellenanzeigen in die Jobbörse gestellt hatte. Wie viele Àhnliche FÀlle es seitdem gab, weià die Bundesregierung nicht
Seit dem Skandal um die Datenanalysefirma Cambridge Analytica fordert die Bundesregierung von Facebook, die Nutzerdaten in Zukunft besser zu schĂŒtzen. Bei einem eigenen Datenleck sieht sie jedoch seit Jahren keinen Handlungsbedarf.
154 Bewerbungen musste Klaus Schetar schreiben um einen neuen Job zu finden. 154 Mal hat er Anschreiben, Lebenslauf und Passfoto versendet. Einige Pflichtbewerbungen, die ihm die Bundesagentur fĂŒr Arbeit (BA) auferlegte, schienen ihm skurril, wenn nicht sogar sinnlos. Warum sollte er, der fast 20 Jahre lang als Teamleiter fĂŒr die Planung und Funktion von Funknetzen zustĂ€ndig war, sich auf eine Fotografenstelle bewerben?
Der MĂŒnchner nahm es hin, wie so vieles, das er in dreieinhalb Jahren mit dem Jobcenter erlebte. Doch dann, so sagt Schetar, wurde er Opfer von BetrĂŒgern, die seine Daten stahlen. Der Tatort: die Jobbörse der Arbeitsagentur. Die weist jede Verantwortung von sich â genau wie die Bundesregierung.
WĂ€hrend die CDU im Skandal um die britische Datenanalysefirma Cambridge Analytica erst kĂŒrzlich die "langsame AufklĂ€rung" durch Facebook beklagte, nimmt die Partei selbst seit fast zehn Jahren eine Schwachstelle bei der Jobbörse hin. Durch diese können Dritte an die Daten von Verbrauchern gelangen. Die Bundesregierung kennt das Problem, sieht jedoch keinen HandlungsbedarfÂ. Das zeigt die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Jessica Tatti, die WELT vorliegt.
Ăffentlich wurde die Masche bereits 2009. Ein Berliner Personalberatungsunternehmen hatte 2.500 fiktive Stellenangebote auf die Jobplattform der Bundesagentur gestellt, um so an die Daten möglicher Bewerber zu gelangen. Die Bundesagentur besserte nach. Die Zulassungsbedingungen fĂŒr Arbeitgeber, die ihre Stellenanzeigen auf der Jobbörse aufgeben wollten, wurden verschĂ€rft. Gereicht hat das offenbar nicht.
Bevor Klaus Schetar eine seiner 154 Bewerbungen abschickte, prĂŒfte er jeden Anbieter. Er sucht die Firmen auf Bewertungsportalen fĂŒr Arbeitgeber und las die Kritiken. Viele schienen seriös, doch bei einigen hatte er sofort ein ungutes GefĂŒhl, vor allem bei jenen Firmen, zu denen er dutzende Warnungen und Beschwerden fand, unterbrochen nur von âfast schon hysterisch ĂŒberschwĂ€nglichen EintrĂ€genâ, wie Schetar sagt. Er bewarb sich dennoch, weil er einen Job wollte. Hartz-IV-Beziehern drohen in solchen FĂ€llen sogar Saktionen.
Schetar schickte seine Unterlagen per Mail an die Firma und bekam eine automatisch versendete RĂŒckantwort, die WELT vorliegt. Darin wird er aufgefordert zuzustimmen, dass seine Bewerbungsunterlagen âan interessierte GeschĂ€ftspartnerâ des Hauses weitergeleitet werden. Die Weitergabe erfolge âausschlieĂlich an Unternehmen, die auf der Suche nach Mitarbeiternâ seien, nach der Zustimmung bemĂŒhe man sich âumgehend um eine Vermittlungâ. Schetar gab sein EinverstĂ€ndnis â und hörte nie wieder etwas von der Firma.
Die Bundesregierung kennt das Problem. In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken spricht sie von einer âpermanenten Herausforderung.â Derzeit sind auf der Webseite der Jobbörse mehr als 1,6 Millionen Job- und mehr als 300.000 Ausbildungsstellen veröffentlicht. Bevor Anzeigen hochgeladen werden können, prĂŒfe die Agentur die Existenz und Arbeitgebereigenschaft der potenziellen Arbeitgeber. Zwölf Millionen FĂ€lle von IdentitĂ€tsbetrug jĂ€hrlich
Eingestellte Stellenausschreibungen wĂŒrden automatisch sowie stichprobenartig durch Mitarbeiter auf verdĂ€chtige Stichworte durchsucht. Eine spezifische PrĂŒfung, ob die eingestellten Stellenanzeigen gefĂ€lscht sein könnten, zum Beispiel indem Texte mit bereits eingestellten Stellenanzeigen abgeglichen werden, gibt es aber offenbar nicht.
Die Bundesregierung rĂ€umt ein, dass durch die groĂe Anzahl an Stellenangeboten ânicht vollstĂ€ndigâ ausgeschlossen werden könne, dass âin EinzelfĂ€llen auch gefĂ€lschte oder fingierte Stellenangebote in der Jobbörse veröffentlicht werdenâ. Hinweise von Arbeitsuchenden und Arbeitgebern seien daher wichtig. Klaus Schetar hat andere Erfahrungen gemacht. Als er seinen Sachbearbeiter beim Amt informierte, sei er auf âwenig Interesseâ gestoĂen.
Wie viele FĂ€lle von Datendiebstahl es bei der Arbeitsagentur in den letzten Jahren gab, ob es sich also wirklich nur um âEinzelfĂ€lleâ handelt, ist nicht klar. Die Bundesregierung fĂŒhrt dazu nach eigener Aussage keine Statistik.
Auch ĂŒber die Absichten der TĂ€ter hat die Bundesregierung âkeine unmittelbaren eigenen Erkenntnisseâ. Wie gefĂ€hrlich IdentitĂ€tsbetrug im Internet sein kann, ist mittlerweile jedoch bekannt. Etwa zwölf Millionen FĂ€lle soll es jedes Jahr geben, die einen finanziellen Schaden in Milliardenhöhe verursachen. Nur ein kleiner Teil wird tatsĂ€chlich angezeigt.
Der Fall von Klaus Schetar gehört zu den wenigen. Der 58-JĂ€hrige erstattete bei der Staatsanwaltschaft MĂŒnchen Anzeige, doch die leitete kein Ermittlungsverfahren ein. Da Schetar der Weitergabe seiner Daten zugestimmt hat, sei âein vorsĂ€tzlicher VerstoĂ gegen das Datenschutzgesetz nicht erkennbarâ, steht in der BegrĂŒndung der Staatsanwaltschaft, die WELT vorliegt. Dass er dies nach eigener Aussage nur getan hat, damit sein Harzt-IV-Satz nicht gekĂŒrzt wird, ist irrelevant.
An diesem Dilemma wird sich wohl auch in nĂ€chster Zeit nichts zu Ă€ndern. âDie BA sieht derzeit keine Verbesserungspotentiale und plant daher aktuell keine Ănderungen im PruÌfverfahrenâ, schreibt die Bundesregierung. Auch das Bundesministerium fuÌr Arbeit und Soziales hat das bisherige Verfahren nicht zu beanstanden.
Jessica Tatti, Abgeordnete der Linken, hat die Kleine Anfrage zur Jobbörse gestellt. Die Antwort der Bundesregierung nennt sie âein Armutszeugnisâ. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Bundesagentur fĂŒr Arbeit sich durchaus in der Lage zeige zu kontrollieren, ob Arbeitssuchende sich tatsĂ€chlich auf offene Stellenanzeigen bewerben, sich aber hilflos gebe, die Stellenanzeigen ihrer eigenen Jobbörse wirksam zu prĂŒfen.
Von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil fordert Tatti, das Problem âendlich angemessen ernst zu nehmenâ und dafĂŒr zu sorgen, dass âwirksame MaĂnahmen der Kontrolle, Dokumentation und Strafverfolgung im Betrugsfall eingeleitet werdenâ. WĂ€hrend Menschen in Hartz IV beim kleinsten VerstoĂ mit Sanktionen rechnen mĂŒssten, so Tatti, drohten betrĂŒgerischen Stellenanbietern in der Regel keinerlei juristische Konsequenz.
Bisher werden fingierte Stellenangebote, sofern sie bekannt werden, gelöscht. Bei schwerwiegenden oder wiederholten VerstöĂen, wird der Account des potentiellen Arbeitgebers deaktiviert. Wie oft es dazu bereits kam, ist nicht bekannt. Die Bundesagentur versucht auch nicht, Strafanzeige zu erstatten. Betroffene, die sich an die Polizei wenden, erhalten zudem keine UnterstĂŒtzung von der Behörde. Anzeigen, so die Bundesregierung, erfolgten âohne Einbeziehung der BAâ.
Klaus Schetar weiĂ bis heute nicht, was mit seinen Daten passiert ist. Seit Februar hat er immerhin wieder einen Job. Gefunden hat er ihn nicht ĂŒber die Jobbörse, sondern ĂŒber seine LebensgefĂ€hrtin, in deren Firma eine Stelle frei wurde. Schetar schrieb seine 154. Bewerbung und wurde genommen.
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