👎 Identitätsdiebstahl Jobcenter Jobbörse der Arbeitsagentur eine Plattform für Betrüger?


welt.de/politik/deutschland/article176891218/Identitaetsdiebstahl-Jobboerse-der-Arbeitsagentur-eine-Plattform-fuer-Betrueger.html

2009 wurde bekannt, dass eine Firma 2500 fingierte Stellenanzeigen in die Jobbörse gestellt hatte. Wie viele ähnliche Fälle es seitdem gab, weiß die Bundesregierung nicht


DWO_Teaser_Arbeitsamt_Daten_cwSeit dem Skandal um die Datenanalysefirma Cambridge Analytica fordert die Bundesregierung von Facebook, die Nutzerdaten in Zukunft besser zu schützen. Bei einem eigenen Datenleck sieht sie jedoch seit Jahren keinen Handlungsbedarf.

154 Bewerbungen musste Klaus Schetar schreiben um einen neuen Job zu finden. 154 Mal hat er Anschreiben, Lebenslauf und Passfoto versendet. Einige Pflichtbewerbungen, die ihm die Bundesagentur für Arbeit (BA) auferlegte, schienen ihm skurril, wenn nicht sogar sinnlos. Warum sollte er, der fast 20 Jahre lang als Teamleiter für die Planung und Funktion von Funknetzen zuständig war, sich auf eine Fotografenstelle bewerben?

Der Münchner nahm es hin, wie so vieles, das er in dreieinhalb Jahren mit dem Jobcenter erlebte. Doch dann, so sagt Schetar, wurde er Opfer von Betrügern, die seine Daten stahlen. Der Tatort: die Jobbörse der Arbeitsagentur. Die weist jede Verantwortung von sich – genau wie die Bundesregierung.

Während die CDU im Skandal um die britische Datenanalysefirma Cambridge Analytica erst kürzlich die "langsame Aufklärung" durch Facebook beklagte, nimmt die Partei selbst seit fast zehn Jahren eine Schwachstelle bei der Jobbörse hin. Durch diese können Dritte an die Daten von Verbrauchern gelangen. Die Bundesregierung kennt das Problem, sieht jedoch keinen Handlungsbedarf­. Das zeigt die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Jessica Tatti, die WELT vorliegt.

Öffentlich wurde die Masche bereits 2009. Ein Berliner Personalberatungsunternehmen hatte 2.500 fiktive Stellenangebote auf die Jobplattform der Bundesagentur gestellt, um so an die Daten möglicher Bewerber zu gelangen. Die Bundesagentur besserte nach. Die Zulassungsbedingungen für Arbeitgeber, die ihre Stellenanzeigen auf der Jobbörse aufgeben wollten, wurden verschärft. Gereicht hat das offenbar nicht.

Bevor Klaus Schetar eine seiner 154 Bewerbungen abschickte, prüfte er jeden Anbieter. Er sucht die Firmen auf Bewertungsportalen für Arbeitgeber und las die Kritiken. Viele schienen seriös, doch bei einigen hatte er sofort ein ungutes Gefühl, vor allem bei jenen Firmen, zu denen er dutzende Warnungen und Beschwerden fand, unterbrochen nur von „fast schon hysterisch überschwänglichen Einträgen“, wie Schetar sagt. Er bewarb sich dennoch, weil er einen Job wollte. Hartz-IV-Beziehern drohen in solchen Fällen sogar Saktionen.

Schetar schickte seine Unterlagen per Mail an die Firma und bekam eine automatisch versendete Rückantwort, die WELT vorliegt. Darin wird er aufgefordert zuzustimmen, dass seine Bewerbungsunterlagen „an interessierte Geschäftspartner“ des Hauses weitergeleitet werden. Die Weitergabe erfolge „ausschließlich an Unternehmen, die auf der Suche nach Mitarbeitern“ seien, nach der Zustimmung bemühe man sich „umgehend um eine Vermittlung“. Schetar gab sein Einverständnis – und hörte nie wieder etwas von der Firma.

Die Bundesregierung kennt das Problem. In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken spricht sie von einer „permanenten Herausforderung.“ Derzeit sind auf der Webseite der Jobbörse mehr als 1,6 Millionen Job- und mehr als 300.000 Ausbildungsstellen veröffentlicht. Bevor Anzeigen hochgeladen werden können, prüfe die Agentur die Existenz und Arbeitgebereigenschaft der potenziellen Arbeitgeber.
Zwölf Millionen Fälle von Identitätsbetrug jährlich

Eingestellte Stellenausschreibungen würden automatisch sowie stichprobenartig durch Mitarbeiter auf verdächtige Stichworte durchsucht. Eine spezifische Prüfung, ob die eingestellten Stellenanzeigen gefälscht sein könnten, zum Beispiel indem Texte mit bereits eingestellten Stellenanzeigen abgeglichen werden, gibt es aber offenbar nicht.

Die Bundesregierung räumt ein, dass durch die große Anzahl an Stellenangeboten „nicht vollständig“ ausgeschlossen werden könne, dass „in Einzelfällen auch gefälschte oder fingierte Stellenangebote in der Jobbörse veröffentlicht werden“. Hinweise von Arbeitsuchenden und Arbeitgebern seien daher wichtig. Klaus Schetar hat andere Erfahrungen gemacht. Als er seinen Sachbearbeiter beim Amt informierte, sei er auf „wenig Interesse“ gestoßen.

Wie viele Fälle von Datendiebstahl es bei der Arbeitsagentur in den letzten Jahren gab, ob es sich also wirklich nur um „Einzelfälle“ handelt, ist nicht klar. Die Bundesregierung führt dazu nach eigener Aussage keine Statistik.

Auch über die Absichten der Täter hat die Bundesregierung „keine unmittelbaren eigenen Erkenntnisse“. Wie gefährlich Identitätsbetrug im Internet sein kann, ist mittlerweile jedoch bekannt. Etwa zwölf Millionen Fälle soll es jedes Jahr geben, die einen finanziellen Schaden in Milliardenhöhe verursachen. Nur ein kleiner Teil wird tatsächlich angezeigt.

Massenphänomen Identitätsbetrug

Der Fall von Klaus Schetar gehört zu den wenigen. Der 58-Jährige erstattete bei der Staatsanwaltschaft München Anzeige, doch die leitete kein Ermittlungsverfahren ein. Da Schetar der Weitergabe seiner Daten zugestimmt hat, sei „ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Datenschutzgesetz nicht erkennbar“, steht in der Begründung der Staatsanwaltschaft, die WELT vorliegt. Dass er dies nach eigener Aussage nur getan hat, damit sein Harzt-IV-Satz nicht gekürzt wird, ist irrelevant.

An diesem Dilemma wird sich wohl auch in nächster Zeit nichts zu ändern. „Die BA sieht derzeit keine Verbesserungspotentiale und plant daher aktuell keine Änderungen im Prüfverfahren“, schreibt die Bundesregierung. Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat das bisherige Verfahren nicht zu beanstanden.

Jessica Tatti, Abgeordnete der Linken, hat die Kleine Anfrage zur Jobbörse gestellt. Die Antwort der Bundesregierung nennt sie „ein Armutszeugnis“. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Bundesagentur für Arbeit sich durchaus in der Lage zeige zu kontrollieren, ob Arbeitssuchende sich tatsächlich auf offene Stellenanzeigen bewerben, sich aber hilflos gebe, die Stellenanzeigen ihrer eigenen Jobbörse wirksam zu prüfen.

Von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil fordert Tatti, das Problem „endlich angemessen ernst zu nehmen“ und dafür zu sorgen, dass „wirksame Maßnahmen der Kontrolle, Dokumentation und Strafverfolgung im Betrugsfall eingeleitet werden“. Während Menschen in Hartz IV beim kleinsten Verstoß mit Sanktionen rechnen müssten, so Tatti, drohten betrügerischen Stellenanbietern in der Regel keinerlei juristische Konsequenz.

Umstrittener Rechtsanwalt
Robin Hood der Hartzer oder ein Querulant?

Bisher werden fingierte Stellenangebote, sofern sie bekannt werden, gelöscht. Bei schwerwiegenden oder wiederholten Verstößen, wird der Account des potentiellen Arbeitgebers deaktiviert. Wie oft es dazu bereits kam, ist nicht bekannt. Die Bundesagentur versucht auch nicht, Strafanzeige zu erstatten. Betroffene, die sich an die Polizei wenden, erhalten zudem keine Unterstützung von der Behörde. Anzeigen, so die Bundesregierung, erfolgten „ohne Einbeziehung der BA“.

Klaus Schetar weiß bis heute nicht, was mit seinen Daten passiert ist. Seit Februar hat er immerhin wieder einen Job. Gefunden hat er ihn nicht über die Jobbörse, sondern über seine Lebensgefährtin, in deren Firma eine Stelle frei wurde. Schetar schrieb seine 154. Bewerbung und wurde genommen.

Kommentare