Und bist du nicht willig... | KenFM.de: Von Susan Bonath.
CDU/CSU und SPD-Abgeordnete weisen Petition gegen Hartz-IV-Kürzungen unter Berufung auf anstehende Reform ab. Doch die macht alles noch schlimmer: Aktivisten sprechen von einem »zweiten Sanktionsregime«. Jobcenter-Personalräte befürchten neue Klagewelle.
Am 1. August soll die lange diskutierte Hartz-IV-Reform an den Start gehen. Mit »Rechtsvereinfachungen« will Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die Jobcenter von einem Teil der Mammutbürokratie entlasten. Nicht nur in Erwerbslosenverbänden, die seit 2013 vor verkappten Verschärfungen warnen, regt sich Widerstand. Auch die Jobcenter-Personalräte kritisieren die Pläne in einem aktuellen Brief als unwirksam. Ein Teil der Änderungen, wie längere Bewilligungszeiträume, würden teils schon praktiziert, heißt es darin. Andere, etwa monatliche statt vierteljährliche »Datenabgleiche« bei Klienten, erhöhten den Aufwand sogar. Das geplante Gesetz sei »noch nicht einmal ein Reförmchen«, monieren die Personalräte.
Der Sozialrechtler Harald Thomé und die frühere Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann kritisieren vor allem, dass die Große Koalition nicht an der Sanktionspraxis rütteln will. Das heißt: Die Jobcenter sollen weiterhin Erwerbslosen oder Aufstockern die Leistung für drei Monate um 30, 60 oder 100 Prozent kürzen dürfen, wenn letztere nicht genügend Bewerbungen schreiben, verordnete Maßnahmen oder Jobangebote ablehnen. Unter 25jährigen droht beim ersten »Vergehen« eine 100-Prozent-Sanktion.
Weil das so bleiben soll, hatte auch Hannemanns Petition für die Abschaffung der Strafparagraphen trotz rund 91.000 Unterschriften, gesammelt innerhalb von vier Wochen, keinen Erfolg. Am Mittwoch schmetterte die CDU/CSU-SPD-Mehrheit im Petitionsausschuss das im Dezember 2013 eingereichte Ansinnen ab. Das Büro der Vorsitzenden dieses Gremiums, Kersten Steinke (Die Linke), teilte mit, die Eingabe werde darum nicht der Bundesregierung vorgelegt. Sanktionen produzierten Obdachlosigkeit und bedrohten die Existenz, kommentierte Steinke. Das Einknicken der SPD sei »enttäuschend«. Inge Hannemann sagte, die Abgeordneten hätten sich auf die Reform berufen. »Wie mir zugetragen wurde, stellten sie es so dar, als seien die Sanktionen mein persönliches Problem; das ist lächerlich«.
Hannemann und Thomé warnen zugleich vor einer besonderen Tücke im neuen Gesetzentwurf. Zusätzlich zu den normalen Sanktionen hätten die Verfasser des Papiers hätten zusätzlich »ein zweites Sanktionsregime« konzipiert, so die Kritiker. Gemeint sind sogenannte »Ersatzansprüche« der Jobcenter gegen Hartz-IV-Bezieher »bei sozialwidrigem Verhalten«. Schon jetzt regelt das Zweite Sozialgesetzbuch (SGB II) im Paragraphen 34: Leistungen sind zurückzuzahlen, wenn der Bezieher seinen Bedarf »vorsätzlich, grob fahrlässig und ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat«.
Diese Passage will die Koalition erweitern. Danach sollen Jobcenter auch Leistungen zurückfordern, »wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde«. Derlei Ansprüche kann die Behörde bis zu drei Jahre nach dem zur Last gelegten »Vergehen« stellen. Eine Verjährungsfrist von vier Jahren schließt sich an. Konkret bedeutet das: Hat ein Klient ein Arbeitsangebot abgelehnt oder wirft ihm das Jobcenter vor, eine Kündigung selbst verschuldet zu haben, dürfte die Behörde ihm künftig den somit nicht erhaltenen Lohn vom Hartz-IV-Satz abziehen – zusätzlich zur deshalb verhängten Sanktion.
Außerdem haben die Verfasser einen Zusatz im Entwurf verankert, wonach Jobcenter sogar Sachleistungen zurückverlangen dürften. Diese können Betroffene mit einer über 30prozentigen Strafkürzung beantragen. Wenn überhaupt, gewährt das Amt dann Lebensmittelgutscheine. Die habe der zur Erstattung Aufgeforderte ebenfalls »zurückzugeben oder in Geldeswert zu ersetzen«, heißt es in der Neufassung. Genauso verhalte es sich mit amtlich gezahlten Beiträgen zur Sozialversicherung.
Die Jobcenter-Personalräte befürchten deshalb mehr statt weniger Arbeit. Das gesamte »Sanktions- und Ersatzanspruchsrecht« sei viel zu »komplex und klageanfällig«, schreiben sie. Statt es auszubauen, gehöre es insgesamt auf den Prüfstand. Thomé und Hannemann sehen die Rechte Erwerbsloser weiter schwinden. In einer Fachstellungnahme prognostizierte der Sozialrechtler, »dass in ein paar Jahren wohl jeder zweite Hartz-IV-Bezieher Kostenersatzansprüche gegen sich zu laufen haben wird«. Das »neue Sanktionsregime« erhöhe den Druck auf Erwerbslose und ihre Familien erheblich.
System mit Gegenwehr lahmlegen
Inge Hannemann plädiert für mehr Gegenwehr, um auf diese Weise die Behörde lahmzulegen. Derzeit widersprächen und klagten nur etwa fünf Prozent der Sanktionierten, obgleich fast 40 Prozent der Widersprüche und sogar knapp die Hälfte der Klagen zugunsten der Betroffenen entschieden würden. Mit der neuen Hilfeplattform »sanktionsfrei.de« wollen sie und ihr Mitstreiter Michael Bohmeyer das ändern: Anwälte sollen Betroffene rechtlich beraten, zusätzlich sollen Sanktionierte perspektivisch aus einem Solidarfonds finanziell unterstützt werden. Für das Crowdfunding-Projekt sammeln sie derzeit Spenden. Bis Mittwochabend hatten mehr als 900 Unterstützer gut 25.000 Euro eingezahlt.
Christian Westhoff, Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), bestritt indes auf Anfrage, dass der Ausbau der »Ersatzansprüche« mit Sanktionen gleichzusetzen sei. Vielmehr würden Vorschriften »klargestellt«, teilte er auf Nachfrage mit. Außerdem seien Jobcenter angehalten, Forderungen maximal in Raten von 30 Prozent des Regelsatzes von der Grundsicherung abzuziehen. Dies aber regelt weder das alte noch das neue Gesetz; vor Gericht kann sich ein Betroffener nicht darauf berufen. Letztlich, so Westhoff, entscheide die Behörde »immer im Einzelfall unter Würdigung der individuellen Umstände«.
Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.
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