Ohne Arbeit bedeutet Ausgrenzung und Verlust der Würde

Podium von links: Hoffmann, Dörwald, Arras, Müller und Schumacher.
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ODENWALDKREIS. - Die nackten Zahlen sind das eine; die Menschen, um die es dabei geht, das andere. Die Statistiken des Arbeitsamts und des Kommunalen Jobcenters des Odenwaldkreises sagen wenig darüber aus, was mit den Menschen geschieht, die sich schon viele Jahre ohne Aussicht auf eine Arbeitsstelle ausgegrenzt fühlen oder permanent bei den Behörden zwecks Aufstockung ihres Lebensunterhalts vorstellig werden müssen, weil sie von ihrem Verdienst ihre Familien nicht ernähren können.
Genau dieser Frage ging auf Einladung des Evangelischen Dekanats Erbach unlängst in Michelstadt eine Podiums- und Diskussionsrunde nach. Darin waren sich der Teamleiter des Arbeitgeberservice bei der Agentur für Arbeit in Darmstadt, Klaus Müller, Bruno Schumacher von der katholischen Betriebsseelsorge, der evangelische Pfarrer von Rothenberg, Reinhold Hoffmann, sowie Dr. Uwe Dörwald, Geschäftsführer der BAW Odenwaldkreis, einig: Dauerhaft ohne Arbeit sein, heißt nicht nur wirtschaftliche Not, sondern Ausgrenzung aus der Gemeinschaft mit all ihren möglichen Folgeerscheinungen wie Scham, verlorene Würde, Krankheit, Sucht, Verschuldung, Abbruch sozialer Kontakte, Rückzug aus der Gesellschaft und im schlimmsten Falle Selbstaufgabe.
Auf der anderen Seite stimmten die Diskutanten darin überein, dass hinreichende Qualifikationen und eine solide Motivation gefragter denn je seien.
Demonstrativ hatten die Veranstalter gesichtslose graue Gestalten zwischen die Stuhlreihen gestellt. Die lebensgroßen Pappfiguren hatte alle dieselbe Botschaft: „Stell mich an, nicht ab!“ Die Kampagne der katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft „Integration durch Arbeit“, eine Aktion des Deutschen Caritasverbands, lässt die Unbekannten zu Wort kommen.
„70 Bewerbungen und keine Zusage“, steht in der Sprechblase eines jungen Manns; „Vollzeit habe ich mit zwei Kindern nicht geschafft“, charakterisiert das Los einer allein erziehenden Frau.
Gleichwohl lenkte die Moderatorin des Abends, Larissa Arras von der Fachstelle für gesellschaftliche Verantwortung der evangelischen Kirche, den Fokus auf die persönlichen Erfahrungen der Diskutanten mit arbeitslosen Menschen.
Hoffmann warnte vor dem Zerfall der familiären und dörflichen Strukturen; Menschen ohne Arbeit bestärkte er darin: „Du brauchst dich dafür nicht zu schämen.“ Seine Erfahrungen zeigten, dass Betroffene sich aber eher aus dem Vereinsleben zurückzögen; nicht nur des Geldes wegen.
Vieles definiert sich darüber, was selbst der Gesetzgeber so gewollt habe, ergänzte Schumacher am Beispiel der Folgen für die Kinder. Wie soll mit 1,62 Euro der Schulbedarf in einem Monat befriedigt werden?
„Das Teilhabepaket reicht bei weitem nicht aus“, so Schumacher, der aus 30 Jahren Erfahrung mit dem Thema die Sanktionsmaßnahmen als das größte Übel in der Sozialgesetzgebung ausmachte.
Dörwald, der aus den Arbeitsbereichen der Beschäftigungsgesellschaft BAW berichtete, forderte zur politischen Neubetrachtung auf. Orientiert am finnischen Schulsystem, sei auch in der bundesdeutschen Bildungspolitik die Devise lauter zu vernehmen: „Wir geben keinen auf; jeder bekommt eine Chance.“
Eine daran orientierte Beschäftigungspolitik würde völlig neue Denk- und Handlungsansätze zulassen. Müller steuerte differenziertes Zahlenmaterial bei, das auch ein deutliches Missverhältnis von Ein- und Auspendler in das Kreisgebiet offenbarte.
Stimmen aus dem Publikum hätten es sich gewünscht, dass deutlich mehr von Arbeitslosigkeit Betroffene den Weg in das historische Rathaus gefunden hätten. Dort angekommen waren tatsächlich nur etwas mehr als ein halbes Dutzend Zuhörer. Entsprechend bemängelt wurde auch das so definierte Desinteresse von Seiten der politischen Mandatsträger.
Als solcher gab sich an dieser Stelle der Kreisbeigeordnete für Arbeit und Soziales, Michael Vetter, zu erkennen, um dies aus seiner Sicht zu korrigieren. So sei konkret die BAW, deren Aufsichtsrat er angehört, dank der enormen Anstrengungen aller Beteiligten (*lach) aus der existenziellen Gefahrenzone herausgeführt worden.
Zurückzuführen sei dies nicht zuletzt auf zwei große Zuschläge auf Ausschreibungen des Kommunalen Jobcenters. Wie oft fälschlicherweise behauptet werde, sei dafür nicht allein der Preis ausschlaggebend, sondern zu 60 Prozent die Qualität.
Für den Sektor Pflege und Hauswirtschaft, in dem Vetter hauptberuflich als Geschäftsführer tätig ist, vermeldete er einen aktuellen Fachkräftemangel von 80 qualifizierten Personen.

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