„Heart’s Fear“ - Als Hartz-​IV-Bezieherin Schikane erlebt

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Die Schauspielerin und Autorin Bettina Kenter-Götte hat am Freitag in Stiefels Buchladen ihr Buch „Heart’s Fear“ vorgestellt und schilderte dabei, wie sie am eigenen Leib erfahren musste, „dass Hartz IV nicht die Armut, sondern die Armen bekämpft“. Diese Veranstaltung war inhaltliche Höhepunkt der diesjährigen Armutswoche in Tuttlingen.


Als Schauspielerin und Synchronbuchautorin verdiente Bettina Kenter-Götte 35 Jahre lang gut. Doch als sie aufgrund einer chronischen Erkrankung nicht mehr arbeiten kann und obendrein ihr Hauptauftraggeber Pleite geht, muss sie nach dem Aufbrauchen ihrer Ersparnisse Hartz IV beantragen. Dabei wurde sie mit einem System konfrontiert, das grundlegend darauf angelegt sei, die Beziehenden zu schikanieren und wahllos mit Sanktionsandrohungen zu konfrontieren, wie sie darlegte.
Im gut besuchten Buchladen wird dem Publikum weitaus mehr als eine schlichte Lesung präsentiert. Durch die geschickte Verknüpfung von Wissensvermittlung, persönlichem Erlebnisbericht und szenischen Darbietungen gelingt es Kenter-Götte, bei ihrem Publikum einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Bei der Verlesung der Überschriften ihres 67-seitigen Erstantragformulars fliegen effektvoll die einzelnen Bögen in hohem Bogen durch den Raum. Schon die Antragstellung erscheint als blanker, bürokratischer Irrsinn. Angesichts der vielen Angaben solle sich niemand mehr fragen, was die Beschäftigten im Jobcenter den ganzen Tag zu tun hätten.
Wenn Kenter-Götte in die Rolle der Schulungsleiterin Frau Peininger schlüpft, mag sich manch einer an die quälenden Schulstunden bei einer strengen Lehrerin erinnert fühlen. Der markige, herablassende Ton der Schulungsleiterin sorgt zunächst für einiges Gelächter im Publikum. Doch Frau Peininger droht nicht mit schlechten Noten, sondern mit existenziell bedrohlichen Sanktionen für jeden, der sich nicht an die willkürlichen Spielregeln hält. Das Lachen verebbt daher schnell wieder. Und angesichts der mehr als 900 000 Sanktionen, die im vergangenen Jahr gegen Erwerbslose in Deutschland verhängt worden seien, ist der wiederkehrende Ernst auch angebracht. 2017 sind mehr als 34 000 Vollsanktionen ausgesprochen worden.


Anderen Sprachgebrauch gefordert

Daher plädiert Kenter-Götte auch für einen anderen Sprachgebrauch: „Sanktionen, das klingt nach Diplomatensprache! Es handelt sich schlicht und ergreifend um mittelalterliche Leib- und Hungerstrafen für Erwerbslose.“ Auch diejenigen, die nicht von Sanktionen betroffen seien, fürchteten die Streichung von Geldern und erlebten ein permanentes Gefühl der „Herzensangst“, die lautsprachlich so treffend im Titel ihres Buches anklingt. Niemand würde Verständnis dafür aufbringen, wenn einem rechtskräftig verurteilten Mörder plötzlich das Essen gestrichen, Strom und Heizung abgestellt und die Medikamente weggenommen würden. Doch bei Leuten, die keine Straftat begangen haben, werde dies seit Inkrafttreten der Hartz IV-Gesetze gesellschaftlich toleriert, obwohl es nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei: „Es handelt sich hierbei schlicht und ergreifend um Menschenrechtsverletzungen“, führt Kenter-Götte aus. Es wäre wünschenswert, wenn das Thema eine ähnlich große mediale Aufmerksamkeit erfahren würde, wie die #Metoo-Debatte und dabei Betroffene und nicht nur sogenannte Experten häufiger zu Wort kommen könnten. Das erklärte Ziel könne nur die komplette Abschaffung der ALG-II-Gesetzgebung sein, so die Autorin.
Für Bettina Kenter-Götte gab es einen Ausweg aus der Abwärtsspirale Hartz IV: Nur weil sie gesund geworden sei, wieder arbeiten konnte und 2015 geheiratet hat, gelang ihr der Absprung. Doch dabei sei sie nur die übliche Ausnahme der Regel, sagte sie.

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