► VIDEO: Sachverständige: Sank­tions­system bei Hartz IV überarbeiten - Deutscher Bundestag

Deutscher Bundestag - Sachverständige: Sank­tions­system bei Hartz IV überarbeiten:

"Das Sanktionssystem beim Arbeitslosengeld II sollte überarbeitet werden. Auf diesen Minimalkonsens lassen sich die Expertenäußerungen einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales unter Vorsitz von Dr. Matthias Bartke (SPD) am Montag, 4. Juni 2018, reduzieren. Von diesem ausgehend, bewegten sich die Vorschläge jedoch von einer stärkeren Flexibilisierung des Systems bis hin zu seiner kompletten Abschaffung. Die Kritik an den oft standardisierten Eingliederungsvereinbarungen zwischen Jobcenter und Arbeitslosen kam von fast allen Seiten, ebenso wie die Forderung nach einer besseren Vermittlungstätigkeit durch die Jobcenter.

Gegenstand der Anhörung waren zwei Anträge der Fraktionen Die Linke (19/103) und von Bündnis 90/Die Grünen (19/1711). Beide Fraktionen fordern, Sanktionen im Hartz-IV-System und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abzuschaffen und die Beratung der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden zu verbessern.



Lob für das Prinzip des Förderns und Forderns

Grundsätzlich positiv bewerteten die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), der Zentralverband des Deutschen Handwerks, der Deutsche Landkreistag und die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft das Sanktionssystem. So betonte Jan Dannenbring vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, das Prinzip des Förderns und Forderns habe noch immer Gültigkeit und Sanktionen seien unentbehrlich, um eine schnelle Integration der Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu erreichen. Dr. Markus Mempel vom Landkreistag nannte sie ebenfalls ein „wichtiges Hilfsmittel“, ohne das viele Leistungsberechtigte nicht erreicht würden.

Eine vollkommene Abschaffung sei „schwierig“, wenn man ein System aufrechterhalten wolle, das auf Pflichtverletzungen reagieren will, sagte Dr. Joachim Wolff vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Er verwies zugleich darauf, dass ein vereinfachtes Sanktionsrecht auch dadurch erreicht werden könne, dass man die verschärften Sonderregeln für unter 25-Jährige abschafft. Diesem Gedanken stimmte auch Markus Mempel zu. Er betonte darüber hinaus, dass die Jobcenter unbedingt mehr Kapazitäten bräuchten, um sich auf ihre Vermittlungsaufgabe zu konzentrieren. Jan Dannenbring kritisierte, dass es nicht sein könne, dass Leistungsbescheide mit bis zu 100 Seiten verschickt würden. Die Vermittler müssten dringend von bürokratischen Lasten befreit werden, forderte er.
Kritik an der Beratungspraxis der Jobcenter

Deutliche Kritik an den Sanktionen kam dagegen unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und vom Deutschen Caritasverband. Eine bessere Beratungspraxis würde das Sanktionssystem sogar überflüssig machen, prognostizierte deren Vertreterin Dr. Birgit Fix. Derzeit würden die Eingliederungsvereinbarungen häufig mit standardisiertem Muster verschickt. Wichtig sei aber, dass diese wirklich „gemeinsam vereinbart“ werde. Doch dafür reichten die Kapazitäten der Jobcenter derzeit nicht aus, so Fix. Martin Künkler vom DGB kritisierte: „Die Eingliederungsvereinbarungen werden den Leistungsempfängern oft einseitig aufoktroyiert. Nötig ist aber eine Vereinbarung auf Augenhöhe.“

Rahel Schwarz betonte für den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, dass gesonderte Regeln für unter 25-Jährige gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstoßen und nicht zu deren besseren Integration in den Arbeitsmarkt beitragen. Das Gegenteil sei der Fall, viele Jugendliche würden dadurch den Kontakt zumJobcenter komplett verweigern. Für den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandbezeichnete Tina Hofmann die Sanktionen als „unverhältnismäßiges Regelwerk“. Es gebe bessere Alternativen, um eine Kooperation zu erreichen, betonten sie und auch Birgit Fix.
Antrag Linke: Zweckwidrige Aktivierungsideologie

Die Linke schreibt, mit Sanktionen im Hartz-IV-System und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe sollten die Menschen „um jeden Preis dazu gebracht werden, Erwerbsarbeit anzunehmen“.

Eine solche „Aktivierungsideologie“ sei jedoch nicht nur verfassungswidrig, sondern auch zweckwidrig, weil sie die Position der Erwerbslosen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtere und unsichere Arbeitsverhältnisse fördere.
Antrag Grüne: Sanktionen abschaffen

Sanktionen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II) sollen abgeschafft werden, fordern die Grünen in ihrem Antrag. Darüber hinaus sollen Steuern, Sozialabgaben und Sozialleistungen so aufeinander abgestimmt werden, dass zusätzliche Erwerbsarbeit die Menschen spürbar immer besserstellt.

Die Mittel der Jobcenter für Personal- und Verwaltungskosten sowie für die Eingliederungshilfe sollen nach dem Willen der Fraktion bedarfsdeckend erhöht werden. Darüber hinaus verlangen die Grünen eine bessere Beratung der Arbeitsuchenden und Lohnkostenzuschüsse für über 25-Jährige, die länger als 24 Monate arbeitslos sind und absehbar keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben. (che/04.06.2018)


Liste der geladenen Sachverständigen
Deutscher Gewerkschaftsbund
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Zentralverband des Deutschen Handwerks
Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V.
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Deutscher Landkreistag
Deutscher Caritasverband
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V.
Kölner Arbeitslosenzentrum e.V.

Kommentare