Möbel für Hartz IV Bezieher?

Möbel für Hartz IV-Bezieher
oder Hartz-IV-Möbel:
Ikea 2.0 für die Armen?
Von Joachim Weiss: In Berlin findet derzeit das International Design Festival 2011 (DMY) statt, wo renommierte Architekten und Möbeldesigner ihre neuesten Produkte vorstellen. Einer der Protagonisten ist Le Van Bo (34), der 1979 als Flüchtlingskind nach Deutschland kam und seit geraumer Zeit mit sogenannten “Hartz-IV-Möbeln” durch die soziale Medienlandschaft geistert. Schicke Möbel, die jeder für wenig Geld selbst zusammenbauen kann, oder ein cleveres Marketing-Konzept im Stil von Ikea 2.0?

Vermutlich beides. Denn auf der Homepage des Möbeldesigners können sich Besucher nicht nur über das Design des “24 Euro Chair” oder des Do It Yourself-Sofas “SiWo” informieren. Sie können auch das kommerzielle Framework bestaunen, das sich um Le Van Bo’s soziale Wohnlandschaften bereits gebildet hat. Im Angebot sind “Hartz-IV Möbel-Workshops” in Berlin und einer wachsenden Zahl von Volkshochschulen aus der ganzen Republik. Ein Mausklick auf den “Hartz-IV-Regenbogen” führt direkt ins Ticket-Corner, wo man für...
[...] 100 Euro (Paypal, AMEX, Master, Visa: Wellcomed) einen Platz im nächsten “SiWo Sofa Workshop” buchen kann. Es gibt Musterhäuser, beispielsweise für das Projekt “Hartz-IV Wohnung”, das auf der Berliner Designermesse mit einem aufwendigen Rahmenprogramm präsentiert wird. Kleiner Auszug:

»Freitag/Friday, 3. Juni 2011

10:00 Beginn Workshop Siwo Sofa mit/with Anke Buchmann (Tag 1/3, day 1/3), Kurs/Fee: 100 Euro
16:00 Hartz IV Wohnung zum Mitnehmen/to Go (Präsentation einer 3D PDF-Datei/Presentation of A 3D-PDF File)
19:00 Volkslesen.tv (Lesung/lecture) Quelle: hartzivwohnung.blogspot.com
Willst Du auf mir schlafen?Der clevere Herr Le Van Bo, der seine Karriere laut taz (7. Juni 10) als Kellner und Jugendreisen-Betreuer startete, als Rapper mit eigener Werbeagentur in der Musikindustrie landete, es später bei Sat.1 und RTL 2 gar zum “Schauspieler in der Vorabendsendung KTI” brachte, bevor er Architekt wurde und seine Aufgaben als “eine Mischung aus Feldforschung, Entwurf und Marketing sieht” – er hat an alles gedacht. “Willst Du auf mir schlafen?”, frägt das SiWo-Sofa, dann “Klick auf das Bild!” Und schon landet der/die neugierige BesucherIn auf dem Reservierungsportal von “Weekend-In-Berlin.de” – Kudamm Design Studio. Tagessatz 63,53 Euro.

Wer die Möbel nachbauen will, kann sich die Suche nach einer Download-Sektion auf der Homepage sparen. Die Pläne werden nämlich nur auf Anfrage (Email) von Herrn Van Bo ausgereicht, der die Gelegenheit nutzt, um noch ein paar Kundeninformationen für das Marketing einzuholen

Chapeau!, Herr Van Bo.
Um 1+1 zusammenzuzählen muss man nicht unbedingt Architekt sein: Herr Le Van Bo hat die Gesellenprüfung als Möbelschreiner bestanden und bereitet sich nun auf sein Meisterstück vor: Es soll eine nach ihm benannte Möbelmarke werden, die das Brandzeichen “Hartz-IV” trägt und sich über ein soziales Netzwerk (Offene Werkstätten, Volkshochschule, Messen, Vorträge, Facebook etc) am Markt etabliert. Parallel dazu erfolgt der Aufbau eines bundesweiten Kundenstamms durch die kostenlose Abgabe von Bauanleitungen. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Originalbausätze für “Le Van Bo Hartz-IV Möbel” in ausgesuchten (von Volkshochschulen empfohlenen?) Heimwerkermärkten ins Angebot gelangen. Da kann man nur sagen: Chapeau!, Herr Van Bo.

Hartz-IV – ein Lebenstil?Doch nun kommt die unschöne Kehrseite der Medaille, die nicht aus Möbeln, sondern einem Meer aus Tränen besteht: Was hat dieses clevere Geschäftsmodell eigentlich mit Hartz-IV zu tun? Glaubt Herr Van Bo ernsthaft, die kostenlose Abgabe von Bastelanleitungen würde die Lebensqualität verarmter Menschen so dramatisch verbessern, dass er die Hauptursache ihrer Nöte als Markenzeichen missbrauchen kann? Sollen arme Menschen künftig auch noch dadurch gestraft werden, dass sie ihr Zuhause mit Armutsmöbeln im Einheits-Look dekorieren und “Hartz-IV” zum Lebensstil erklären? Soziales Engagement oder kommerzielle Trittbrettfahrerei – das ist hier die Frage! / Joachim Weiss, www.gegen-stimmen.de

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