Rekord bei Hartz-IV-Sanktionen

Bundesagentur für Arbeit zieht Schrauben für Leistungsbezieher offenbar noch stärker an

»Hartz-IV-Schande« prangte am Dienstag in dicken Lettern auf dem Titel der »Bild«-Zeitung. Nach Angaben des Blattes haben die Jobcenter im vergangenen Jahr so viele Sanktionen wie nie zuvor gegen Hartz-IV-Empfänger verhängt. Doch worin besteht die eigentliche Schande?
Sanktionen in rund 828 700 Fällen – rund 14 Prozent mehr als im Vorjahr – listet »Bild« unter Berufung auf eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA). Im Schnitt wurde die »Stütze« dabei um 123,72 Euro im Monat gekürzt – im Jahr davor waren es 114,31 Euro gewesen. In den weitaus häufigsten Fällen (knapp 500 000) seien Leistungsempfänger nicht zu Terminen mit der Arbeitsagentur erschienen. Mehr als 102 000 Mal hätten sich Betroffene geweigert, eine vom Jobcenter als zumutbar angesehene Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit anzunehmen. In knapp 20 000 Fällen seien Eingliederungsmaßnahmen abgebrochen worden. In wenigen Fällen – laut »Bild« 389 – »verprassten« Hartz-IV-Empfänger zunächst ihr »Vermögen« und waren dann wieder auf die Leistung angewiesen. Die Zeitung macht daraus indes einen großen Skandal.
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Dabei hat der Anstieg der Sanktionen möglicherweise ganz andere Ursachen: Nach Worten einer BA-Sprecherin war einer der Gründe die anziehende Konjunktur: Weil dadurch den Hartz-IV-Beziehern mehr Jobs angeboten werden konnten, sei es zu mehr Problemen mit der Vermittlung gekommen. »Wir haben verlässliche Informationen, dass es von Seiten der BA Vorgaben gegeben hat, nach denen mehr Sanktionen ausgesprochen werden sollten«, sagt dagege...
Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosenforums Deutschland, auf ND-Nachfrage. »Man kann auch nicht sagen, dass die Betroffenen mehr Jobs ablehnten. Stattdessen werden ihnen regelrechte Fallen gestellt, etwa über Eingliederungsvereinbarungen, die letztlich nicht zu erfüllen sind.«
Nach Behrsings Erfahrung aus der Rechtsberatung von Hartz-IV-Empfängern kämen viele Briefe des Jobcenters zu spät oder gar nicht erst an. Zudem: »In 98 Prozent der Fälle, wo Menschen in unsere Rechtsberatung kamen, mussten Sanktionen spätestens vor Gericht zurückgenommen werden.«
Der Hartz-IV-Aktivist hält die Sanktionen der BA vor allem für ein »Steuerungsinstrument, mit dem man Gelder einsparen kann, aber auch Menschen zu disziplinieren versucht.«
Die stellvertretende LINKE-Vorsitzende Katja Kipping hält die »Bild«-Kampagne für ein Ablenkungsmanöver »von der katastrophalen neuen Gesetzgebung und Umsetzung der Hartz-IV-Regelungen«. Auch sie argumentiert mit Zahlen. Nach ihren Angaben wurde im Jahr 2010 fast 38 Prozent der Widersprüche gegen Sanktionen voll stattgegeben. Rund 55 Prozent der Klagen gegen Sanktionen seien gewonnen worden. Über die Leistungskürzungen werde versucht, Leistungsbezieher für »jeden schäbigen Niedriglohn-Job oder für rechtswidrige Arbeitsgelegenheiten« gefügig zu machen, so Kipping. Tatsächlich seien aber über die Hälfte der Ein-Euro-Jobs laut Bundesrechnungshof keine zusätzlichen Tätigkeiten im Interesse der Allgemeinheit oder stünden in Konkurrenz zu ungeförderten Unternehmen.

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